Gerhard Höberth

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Kunst

 

 

Die Wissenschaft ist der Verstand der Welt,
die Kunst ihre Seele.

Maskim Gorki

 

Alle Menschen haben die Anlage, schöpferisch tätig zu sein.
Nur merken es die meisten nie.

Truman Capote

 

 

Als Kind ist jeder ein Künstler.
Die Schwierigkeit liegt darin, als Erwachsener einer zu bleiben.

Pablo Picasso

 

Ich war also ebenfalls als Kind schon Künstler ...
... und blieb es als Erwachsener.
Ich erhielt meine Ausbildung im "Kollektiv-Kreis" und
wurde 1991 vom österreichischen Ministerium
für Kunst und Kultur offiziell als Künstler anerkannt.

Kunst?

 

Kein Künstler ist eine Insel.

Das kreative Schaffen wird permanent durch die kulturellen Inputs beeinflusst.

Der soziale Kontext und seine subjektive Bewertung ist integraler Bestandteil des Kunstschaffens. In der Auseinandersetzung mit den eigenen kreativen Werken verarbeiten wir immer auch die Aktualitäten der Gegenwart, die uns als Informationsströme durchfließen (selbst wenn wir uns den Medien verschließen). So wird im Gegenzug die Kunst des Einzelnen zum Baustein der gesellschaftlichen Kultur der Gegenwart. Diese rekursive Systematik wirkt auch ohne unser bewusstes Einverständnis. Stellen wir uns aber bewusst dieser Dynamik, dann können wir sie als Wind in den Segeln der Kunst für unsere Zwecke verwenden. – Aber hat Kunst überhaupt einen Zweck?

Eine kurze historische Betrachtung zeigt, dass sie zumindest immer Spiegelbild der Zeit ist. Die Entwicklung der Kunst ging immer konform mit Entwicklungen in anderen gesellschaftlichen Bereichen.

 

In der Renaissance wurde nicht nur die antike Kunst wieder entdeckt, sondern auch die Philosophie Platons und Aristoteles. Aber Wissenschaft wie Kunst wurden nicht einfach wiederholt sondern weiterentwickelt. So wurde im 15. Jahrhundert nicht nur die Perspektive in der Malerei „entdeckt“, sondern auch

  • die Zahl 5 in der Musik, was zur Bevorzugung der Terz gegenüber der Quinte führte
  • das heliozentrische Weltbild, was zur Kopernikanischen Wende führte
  • das Experiment zur Erforschung der Welt mit objektiven Mitteln, wodurch sich die objektive Wissenschaft begründete
  • die religiöse Eigenverantwortung durch die Reformation ...

Derartige Parallelen finden sich quer durch die Kunstgeschichte. Teilweise waren sie von den Künstlern bewusst inszeniert – wie etwa die Relativität des Raumes bei Picasso, die explizit durch Einstein inspiriert war – und teilweise unbewusst – wie etwa die Darstellungen der gleichzeitig entwickelten rekursiven Mathematik durch M. C. Escher.

 

Kunst scheint immer Reflexion des Zeitgeschehens zu sein.
Und zwar an der radikalsten Front der Entwicklungslinien.

 

Das mechanistische Weltbild des 18. und 19 Jahrhunderts zum Beispiel bewirkte einerseits einen radikalen Realismus in der Malerei, andererseits aber auch die Gegenbewegung in der Romantik. Die Kunst war gespalten wie die Gesellschaft – zerrissen zwischen Aufklärung und Religion, zwischen Verstand und Gefühl. Realismus (Materialismus, z.B. Marx) und Idealismus (z.B. Hegel) waren zu dieser Zeit auch die konkurrierenden Hauptströmungen in der Philosophie.

 

Dem Erfolg der Wissenschaft am Ende des 19. Jahrhunderts (als Analyse der hinter der Wirklichkeit liegenden Gesetze – z.B. die Arbeiten von Maxwell, Mach, ...), trägt schließlich – um ein weiteres Beispiel zu nennen – auch der Symbolismus Rechnung: „Es gibt eine verborgene Wirklichkeit hinter dem Sichtbaren und diese ist die Grundlage des Sichtbaren, aber kein Mensch kann genau wissen, wie diese Wirklichkeit aussieht.“

 

Im 20. Jahrhundert wurde die Kunst zum Spiegel der Ungewissheit der Wissenschaft.

  • Freud entdeckte das Unbewusste und die Traumdeutung.
  • Die Kunst entdeckt die Verfremdung der Welt (auf unmögliche Objektkombinationen und unmögliche Perspektiven) und die Reduktion auf Farbe und Linie.

 

Die enge Verwobenheit zwischen beobachtetem System und dem Beobachter (Quantenmechanik) reflektierte unter anderem auch die Kunst des Surrealismus (z.B. „Dies ist keine Pfeife“ René F. G. Magritte).

 

Immer mehr verweigerte die Kunst die Korrespondenz mit dem Betrachter um ihn auf seine aktive Rolle in der Kunst aufmerksam zu machen. Die Welt als Konstrukt des Geistes und das Kunstwerk als Werk des Betrachters. Das Ästhetische der Kunst wurde im Zufälligen und im Spontanen gesucht.

 

Schließlich bestimmte eine beharrliche Formlosigkeit und Unbestimmtheit den künstlerischen Ausdruck in der Malerei. Hier formte sich scheinbar eine neue künstlerische Logik: Spiegelbildlich zur pluralistischen Egalität der Gesellschaft wurde in der Kunst das Abweichende zur Norm.

 

Die neue Kunst machte es sich zur Aufgabe, zu schockieren und die Welt zu verfremden. In der optimistischen Zukunftsorientierung der Wirtschaftswunderzeit wurzelte der Versuch, eine Ahnung von neuer Ordnung aus den Fragmenten des Überkommenen zusammenzusetzen. Das geschah aber oft allein durch die systematisch betriebene Verspottung traditioneller Ideale. Jeder Wert war suspekt, weil er eine immanente Ordnung der Natur vorgaukelte, die doch nur kulturell bedingt in die Natur hineinprojiziert wurde. Moral und Tradition wurden als Hindernisse auf dem Weg zu einer globalen und weltzentrischen anstatt einer ethnozentrischen Kultur verstanden. Nicht nur dem Sinn, der Form und der Farbe musste abgeschworen werden, sondern auch der Schönheit, denn auch sie war Konvention, die es aufzubrechen, zu sezieren und als Illusion offen zu legen galt.

 

Die Faszination des Irrationalen und des Subjektiven führte zum Wunsch alle Übereinkünfte zu durchbrechen und jede Erwartung abzulehnen.

Dies manifestierte sich in Kunstformen, die für Nichteingeweihte unverständlich bleiben mussten. Und eingeweiht war oft nur der jeweilige Künstler selbst, weil er der einzige Vertreter seiner ureigensten Welt- und Kunstordnung wurde.

Allein die Sehnsucht der Menschen nach einer Ordnung und Orientierung innerhalb des sinnlosen Chaos der postmodernen pluralistischen Weltbilder, verführte sie zu einer fast religiösen Projektion von Sinn in die Systeme jener Künstler, die jeweils ihre Ordnung als neuen Mythos darzustellen imstande waren.

Aber ähnlich der „zur Schau gestellten Ablehnung des Kommerz als Grundrezept zum kommerziellen Erfolg“, verweigerten sich viele Künstler jeglicher Projektion irgendeiner Botschaft auf ihre Kunst. „Kunst ist“ – punktum.

 

Aber andererseits wissen wir auch:

„Wir können nicht NICHT KOMMUNIZIEREN!“

 

Auch im Schweigen steckt eine Botschaft und so lässt sich auch die Verweigerung etwas mit der Kunst ausdrücken zu wollen als künstlerischer Ausdruck deuten.

Was steckt also implizit dahinter, wenn explizit nichts dahinter steckt?

 

Dieser paradoxen Situation vor dem Hintergrund moderner und aktueller Weltvorstellungen muss sich jeder Künstler heute – bewusst oder unbewusst - stellen.

Inwieweit ist auch die Kunst der Gegenwart Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen? Nimmt sie diese Entwicklungen vorweg oder reflektiert sie diese nur? Und wo reiht sich die eigene Kunst hier ein?

Gerhard Höberth
Wasserburg, den 8. März 2005